Im Herzen Italiens - Umbrien
Sanftes Abendlicht streift
ein Hügelland mit Weinbergen, Olivenbäumen und Wiesen. Es ist März, und noch
sind die Ackerflächen braun, die Weinstöcke kahl. Doch die Abendsonne verwandelt
die Brauntöne in warme satte Erdfarben, über denen ein goldener Schimmer liegt.
Die Wiesen beginnen sich mit den ersten Frühlingsblumen zu schmücken, so dass
das Grün gelb gesprenkelt ist. Die Olivenbaumhaine bilden silbrig grüne
Quadrate. Wir sind in Umbrien und es breitet sich vor uns eine Landschaft
voller Harmonie aus, voller Ruhe und Schönheit - wobei nach einer 10-stündigen
Anfahrt vor allem die Ruhe besonders wohltuend auf mich wirkt. Soll ich noch
schildern, dass mein Blickfeld eingerahmt wird von zwei hohen alten Zypressen,
dann erfülle ich vollends alle Kriterien einer verkitschten Reisebeschreibung
und setze mich der Kritik aus. Doch ich muss dieses Wagnis eingehen, wenn ich
bei der Wahrheit bleiben will. Denn zu dankbar registriere ich, dass solche
Urlaubsidyllen nicht Postkartenklischees sind, sondern einer realen
Wirklichkeit entspringen und deshalb nachvollziehbar und erlebbar werden. Wer
unbedingt Wert auf Vergleiche legt, vor allem mit der vielbesungenen Toskana,
dem sei gesagt, dass hier das Hügelland nicht so sanft und weich ist -manche
Wiesenhänge erheben sich steil aus dem Talgrund-, das Hügelmeer setzt sich
nicht endlos in den Horizont fort, sondern wird begrenzt durch die Silhouette
einer stattlichen Bergwelt (Monti Sibellini). Es ist
neben der Sanftheit viel Rhythmus in dieser Landschaft, ein reizvolles
Spannungsfeld zwischen Weichheit und Kraft, kurz eine faszinierende Landschaft.
Der kalte Nordwind vertreibt
mich von meinem stillen Beobachtungsplätzchen, doch nein, nicht ins Haus. So
schnell will ich mich von dieser Landschaft noch nicht trennen. Und so ziehen
wir hinaus, einem Feldweg folgend, der an unserem Haus vorbei führt. Er
schlängelt sich durch einen Steineichenwald, teils gesäumt von hohem Ginster,
führt an Olivenhainen vorbei, an einer Wiese mit zwei Schafen. Verstreut liegen
kleinere Ansiedlungen und einzelne Gehöfte, oft schmuck renoviert inmitten
parkähnlichen Gärten. Nein, eine einsame Gegend ist dies nicht, dicht besiedelt
und intensiv genutztes, altes Kulturland. Das jedoch von immer mehr Bauern
aufgegeben wird, denn manch saniertes Anwesen wirkt nicht wie ein Bauernhof,
sondern dient wohl eher als Ferienhaus für großstadtgeplagte Römer und
Mailänder.
Immer wieder tauchen
zwischen den Bäumen die Umrisse eines mittelalterlichen Gemäuers auf. Neugierig
geworden, nähern wir uns stetig diesem Borgo, mal
erhaschen wir einen Blick auf einen Turm, mal erscheint es wie ein
verschachteltes Ensemble, bis wir plötzlich und unvermittelt nach einer Biegung
vor dem gesamten Bauwerk stehen. Hoch über uns, umgeben von weiten Wiesen,
wächst es mächtig in den Himmel. Es sind immer die Überraschungen, die
Zufälligkeiten, das Staunen über unverhoffte Entdeckungen, die als besondere
Glücksfälle einer Reise gelten. Uns will es erscheinen, als würde mitten in
einer entrückten Landschaft ein mittelalterlicher Traum wahr werden. Vor dem Borgo sitzen einige Alte in geselliger Runde beisammen, verschlossen-gespannte Blicke mustern uns und erst ein
höfliches "Buona sera"
öffnet die Mienen zur Freundlichkeit. Wir erhalten die Erlaubnis, das Borgo zu betreten. Jeder Schritt ist wie ein Zeitsprung
zurück in die Vergangenheit, nur dass man sich in diesen alten Mauern nicht wie
in einem Museum fühlt. Winkel, liebevoll mit Blumentöpfen geschmückt,
aufgehängte Wäschestücke, liegengebliebene Spielsachen - ein Stück
italienischer Alltag, der durch diese schmalen Gässchen weht. Voller Abenteuer-
und Entdeckerlust streifen wir herum - immer wieder entzückt über einen
verborgenen Winkel, romantische Torbögen, gemauerte Treppchen, ein
Madonnafresko....
Ein verheißungsvoller,
erster Eindruck von Umbrien.
Zu entdecken gibt es noch
vieles, große Städtenamen wie Assissi und Perugia
locken, doch auch weniger bekannte Namen wie Montefalco,
Bevagna, Gualdo üben einen
Reiz aus. Und so reisen wir durchs Land ziehen von Ort zu Ort, ohne aufwendige
Planung, fangen Stimmungen und Impressionen ein auf unserer umbrischen
Rundreise.
Assissi, die Stadt des Heiligen
Franziskus, bildet den Ausgangspunkt.Dazu verlassen
wir das grüne Hügelland und nähern uns der Stadt durch das Valle
Umbra, eine weite Ebene, die von einer Seite begrenzt wird durch die Bergkette
des Nationalparks Monte Subaso. Dieses weite Tal ist
dicht besiedelt, Städte wie Foligno, Spello, Assissi und auch Perugia
reihen sich fast nahtlos aneinander. Doch inmitten dieses Besiedelungsgürtels
heben sich bestimmte Städte durch ihre Stadtgestalt oder durch ihre besondere
Lage hervor. Spello, ein kleinerer Ort mit ungefähr 8000 Einwohner, thront auf einem Hügel über dem Valle Umbra. Ein fester Mauerring umschließt einen
kompakten Stadtkern, Zypressen und Olivenhaine umschmeicheln die Stadtanlage.
Von weitem grüßt Assissi, ebenfalls von erhöhter
Position aus. Kuppeln und Türme überragen ein rotbraunes Häusermeer aus
Kalkstein, eine mittelalterliche Festung hält von einer Anhöhe herab Wache. Das
langgezogene Stadtbild, durchaus einem Schiffskörper vergleichbar, wird geprägt
von einem dominanten Gebäude an der
Westspitze: San Francesco,
die Grabkirche des Heiligen und der riesige, angrenzende Konvent. Und so wie
dieses klerikale Gebäude schon von weit her das Stadtbild prägt, ist es auch
der Heilige Franziskus, der allgegenwärtig innerhalb der Stadtanlage erscheint
und auf dessen Spuren sich jeder Besucher befindet. Alles dreht sich hier um
Franziskus und Klara. Die meisten Gotteshäuser haben mit den beiden zu tun. Ob
das Taufbecken im Dom San Rufino, die Santa Chiara,
in der Reliquien der beiden Heiligen aufbewahrt werden, das kleine Kloster San Damiano, in dem der berühmte "Sonnengesang"
geschrieben wurde oder die prächtige Grabeskirche San Francesco. Doch das
unglaublichste ist, dass trotz aller Pilger- und Touristenscharen Assissi eine wunderschöne Stadt ist: Zinnen, Kuppeln,
farbige Fresken an rosa getönten Steinfassaden, Torbögen, kleine Vorgärtchen
und immer wieder Aussichtsterrassen, die den Blick aus dem Häusermeer
hinausführen in die weitläufige Landschaft. Der Touristenrummel wirkt nicht
hektisch, die Souvenirläden mit ihren Rosenkränzen und Weihwasserkesselchen
nicht aufdringlich, die Kirchen kein kunstgeschichtlicher Jahrmarkt, sondern
ein Ort der Ruhe und Andacht. Es ist keine Stadt, die man nur abhakt, hier will
man verweilen, in den Cafes sitzen, beobachten, teilhaben an einer ganz
besonderen, nur schwer zu beschreibenden Atmosphäre. Ist der Heilige Franziskus
immer noch präsent, dass er dieses kleine Wunder bewirkt?
Wunderliches trug sich
ehemals auch in Bolsena, schon in Latium, zu: Ein
böhmischer Priester zelebrierte auf der Reise nach Rom hier eine Messe. Dabei
floss aus der Hostie wirkliches Blut auf das Kelchtuch. Zur Aufbewahrung dieses
blutbefleckten Tuches wurde in Orvieto- sehr zum Ärger der Bewohner in Bolsena- ein gewaltiger Dom errichtet. Diese Stadt liegt
isoliert auf einem Hochplateau aus vulkanischem Tuffgestein, erhebt sich gleich
einer Insel über einem Meer von Weinreben und Olivenhainen. Der oben erwähnte
Dom, der als einer der schönsten Italiens gilt, überragt weithin sichtbar die
ihm zu Füßen liegende Stadtanlage. Er übt eine magnetische Anziehungskraft auf
uns aus und so steuern wir unseren Bus
von ihm geleitet, durch das Gewirr schmaler Gässchen, bis wir direkt am
Domplatz herauskommen -Gottlob ist gleich dahinter ein kleiner Parkplatz. Der
erste Eindruck des Doms ist überwältigend. Der Domplatz reicht nicht aus, um
ihn in seiner Majestät und Würde zu erfassen. Wir treten zurück in eines der
schmalen Gässchen, die Augen unverwandt auf die glitzernde Fassade gerichtet.
Überreich im Schmuck seiner Mosaiken leuchtet der Dom, fällt die Nachmittagssonne
auf diesen Bilderglanz, erscheint er fast im überirdischen Licht. Der Innenraum
mit seinen Kostbarkeiten birgt mit der Capella die
San Brizio ein Kleinod der Renaissance-Malerei: den
Freskenzyklus des Jüngsten Gerichtes von Luca Signorelli.
Benommen von so viel Schönheit stehen wir wieder auf dem Domplatz. Das
weltliche Geschäft mit dem Fremdenverkehr treibt hier seine Blüten. Keramische
Souvenirs, mal modern, mal traditionell, mal kreativ anspruchsvoll, mal
Massenkonfektion. Dazwischen eine auffällig hohe Zahl von Feinkostläden mit
typisch umbrischen Produkten: Käse, Olivenöl, Trüffel
und vor allem verlocken die dolci, z.B. als Mandel-
und Piniengebäck. Je mehr wir uns entfernen vom Domplatz, umso mehr tritt das
touristische Angebot zurück. Etwas abseits der Corso Cavour,
der lebhaften Einkaufsstraße mit seiner Fußgängerzone, herrscht ruhiger Alltag,
Einheimische bestimmen das Stadtleben.
Die rege Betriebsamkeit
Orvietos hinter uns lassend, führt uns ein Abstecher nach Latium in die "citta che muore",
der sterbenden Stadt. Diesen unrühmlichen Titel erhielt Civita
di Bagnoregio, nachdem um 1980 herum lediglich 7!
Bewohner hier noch ausharrten. Der Fluss der Zeit ist hier zum Stehen gekommen,
der Strom der Vergangenheit umfließt diesen Ort. So betritt man über eine lange
Fußgängerbrücke ein anderes Zietalter. Der
mittelalterliche Ortskern weist all das Übliche und Notwendige auf: Piazzas, Rathaus, Kirche, stadttore,
Brunnen, Bögen, Balkone. Nur - es fehlt das Leben. Vereinzelte Touristen
schleichen wie wir neugierig durch den Ort, einige Cantinas
und Cafes warten auf Gäste, die nicht oder noch nicht da sind. Eine eigenartige
Stille liegt über dem Ort - gut vorstellbar, dass in der Hochsaison sich lautes
Touristenleben hier ausbreitet, aber gewiss nicht normaler Alltag.
Mit Montefalco
sind wir wieder zurück in Umbrien und auch wieder zurück in der Gegenwart. So
reizvoll ein Ausflug ins Mittelalter sein mag, köstlich ist es, auf sonnigen Piazzas Cappuccino zu schlürfen, oder zu späterer Stunde
ein Gläschen Wein mit Oliven zu sich zu nehmen, das Treiben der Leute zu
beobachten und dies alles in ruhiger Beschaulichkeit. Montefalco
ist dafür wie geschaffen. Ein kleiner, aber berühmter Weinort, aus dem ein
schwerer Rotwein stammt, der Sagrantino. Man sollte ihn
besser vor einem Rundgang genießen, bevor einem die Landschaft und der Wein die
Sinne raubt. Denn der Ausblick von dem knapp 500 m
hoch gelegenen Ort ist wieder einmal atemberaubend. Der Blick streift eine
lichte, grüne Hügellandschaft, aus dem Tal blicken Assissi,
Spello, Foligno herauf
nein, Montefalco wird nicht umsonst der "Balkon
Umbriens" genannt.
Doch dieses Prädikat würde
ich vielen Städten Umbriens geben, es ist sehr schwer, hier ein vergleichendes
Urteil abzugeben. Todi, Nocera
Umbra, Perugia,
überall wird man überrascht
von dieser Kombination aus bezaubernder Landschaft und reizvollem immer wieder
einzigartigen Flair der Städte.