Kykladen

Segeln im Reich Poseidons

 

 

 

 

Ich blicke zurück auf einen 14-tägigen Segeltörn in der Ägais: ein diffuses Bild aus türkisblauen Buchten, weißen Häusern auf kahlen Hügeln thronend, verwinkelte Gassen, stille Plätze mit blühenden Geranien und Bougainvillen, Häfen mit bunten Fischerbooten, und immer wieder blaue Kirchenkuppeln, die in einen wolkenlosen Himmel ragen. Verschwommen und fast nicht mehr zuordenbar sind diese einzelnen Bruchstücke der Erinnerung und so will ich mir die Mühe machen, mir schreibend Klarheit zu verschaffen. Denn es ärgert mich, dass lediglich ein Gespinst aus vagen Eindrücken zurückbleiben soll von diesem Urlaubstörn, von dem wir nur sagen, es sei der bisher schönste gewesen. Doch es ist eine bereits vertraute Erscheinung: gerade beim Segeln verschmelzen alle Erlebnisse, verdichten sich zu einem einzigen Bild, ich sehe mich umgeben von Wellen, kleine Schaumkronen tragend, bis zum Horizont sich ausdehnend, höre sie an das Boot schlagen, rieche das Salzige des Meerwassers. Dabei ist die Weite in den Kykladen nicht endlos. Der Horizont wird begrenzt durch die unterschiedlich klaren Umrisse von Inseln. In weiter Ferne, so schemenhaft, dass sie eher Phantasiegebilden gleichen, denen man sich nur träumerisch nähern kann bis zu den scharf gezogenen Linien, die die Bergrücken in den Himmel zeichnen. In oft unmittelbarer Nähe die steinigen Felseninseln mit ihrer kargen, kriechenden Vegetation. Und so ziehen wir unter weißen, zum Glück meist aufgeblähten Segeln dahin, immer wieder schieben sich andere Inseln in das Sichtfeld, mal zum Greifen nahe, mal zwischen Himmel und Erde schwebend.

 

Doch Schluss nun mit diesen Träumereien, in die ich nun handfeste Informationen einfügen will, um mir damit die seglerische Wirklichkeit dieses Törns zurückzuholen.

Die Kykladen haben ihren Namen von „kyklois“, was soviel wie Kreis bedeutet und konkret  meint, dass sich diese Inselgruppe kreisförmig um Delos, dem damaligen Zentrum von Handel und Religion, anordnet. Diese Information ist nicht nur an die bildungsbeflissenen Kultur- und Studienreisende gerichtet, sondern sie ist auch seglerisch von immenser Wichtigkeit. Sie deutet nämlich auf eine Schwierigkeit bei der Routenplanung hin. Wie durchläuft man diesen Kreis bei laut Literatur meist gleichmäßigen Winden aus NO bis NW oder konkreter, wie kommt man mit einem „Wind von vorne“ wieder durch die Kykladen zurück. Unser nautischer Reiseführer gab folgende Auskunft zum Meltemi: im nördlichen Teil der Kykladen kommt er aus NE, dreht im mittleren Teil auf N, um im südlichen Teil aus NW bis NNW zu blasen. Am stärksten ist der Meltemi im Juli, August und September, wo er durchaus mit Windstärken bis 8 Bft. wehen kann.

Wir sind im Juni gestartet, also der mäßigten Zeit, von einem Hafen bei Athen, Alamos, Marina Kalamaki.

Folgende Übersicht zeigt unsere Route, die nicht a priori entstand, sondern sich zusammenfügte aus Einzelplänen von jeweils 2-3 Tagen, jeweils in Abhängigkeit der jeweiligen Wind- und Wettersituationen.

Unsere erste Etappe führte uns entlang des Festlandes bis Kap Sounion. Von dort aus durchsegelten wir die nördlichen Kykladen bis nach Kythnos. Die Runde setzte sich fort mit Syphnos in den mittleren Kykladen. In den südlichen Kykladen war Pholegandros unsere Zielinsel und mit Thira erreichten wir unsere südliche Wendemarke. Der Rückweg führte uns dann über Sikinos, Schinousa, Paros, Syros und Kea wieder zurück zum Kap Sounion.

 

 

In Kalamaki übernehmen wir Samstag abend unsere Jacht, eine Oceanis 451. Laut Hafenhandbuch zwar eine der modernsten Marinas, wirkt sie auf uns trotzdem ungemütlich und fast trist. Und das, obwohl eine nahegelegene Disco lärmend zu uns herüberdröhnt und sich durchaus lebhaftes Getümmel an den Piers ausbreitet. So gibt es für uns keinen Grund länger als nötig im Hafen zu bleiben und deshalb verlassen wir bereits Sonntag morgen nach den notwendigen Einkäufen die Marina. Mit schönen gleichmäßigen Winden (Stärke 3-4) ziehen wir auf achterlichem Kurs ruhig an der Festlandküste entlang. Zunächst bleibt die Landschaft ebenso trostlos wie der Hafen: endlose Vororte reihen unschöne Appartmentblocks aneinander, eingebettet in Gewerbesiedlungen. Erst nach ca. 10 Seemeilen lockert sich die dichte Bebauung auf, wird aufgelöst von landgutähnlichen Villen, die sich zwischen waldigen Gartenanlagen verstecken. Der Wind kommt aus NW und treibt uns mit ca. 20 Knoten unserem heutigen Etappenziel entgegen. An der Küste hat zunehmend unverbaute griechisch- karge Vegetation das Landschaftsbild erobert – die steinigen Hügelketten sind mit einem matten Anflug von Grün überzogen mit niedrigem Buschwerk durchsetzt. Im Dunst tauchen bald die kantigen Umrisse des Poseidontempels auf, die die Spitze des Kaps markieren. Unterhalb davon befindet sich in einer weiten Bucht der Ankerplatz Sounion: ein Hotel mit Sandstrand, zwei Tavernen, auf den kargen Hügeln einige größere Villen, das wars auch schon. Mit unserem Dingi steuern wir eine der Tavernen an. Man sitzt fast am Strand unter einer Pergola, die Terrassen sind blumengeschmückt, der Blick geht über die Bucht hinauf zum antiken Tempel. Zufrieden lassen wir uns an diesem malerischen Plätzchen nieder und freuen uns nach unserem ersten Segeltag auf gutes griechisches Essen. Doch wir müssen feststellen, dass das Ambiente ansprechender ist als das Angebot auf den Tellern. Dafür ist das „Hafenkino“, das uns Gabriel bietet, von höchstem Unterhaltungswert. Die Ausgangssituation: einer der anderen Gäste hatte sein Dingi nicht sicher genug festgebunden und wir beobachteten wie es gemächlich in die Bucht hinaustrieb. Nun der Einsatz des selbstlosen Helden Gabriel: er stürzte sich in unser Dingi und nimmt die Verfolgung des herrenlosen Dingis auf. Schnell gelang es ihm durch beherztes Zugreifen die Schnur zu fassen. Doch nun beginnt der dramatische und eigentlich unvorhersehbare Hauptteil des Stückes, der Kampf mit einem fremden, eigenwilligen Dingi. Zeitweise schien es als würde er diesen Kampf verlieren. Herr von zwei Dingis zu sein, erwies sich als echte Herausforderung. Immer wieder wurden sie abgetrieben, drehten unfreiwillige Kreise und Kringel. Es schien wie ein Tanz, der jedoch von fremden Mächten gesteuert wurde, und dem Gabriel ausgeliefert war. Und so dehnte sich der dramatische Teil des Stückes aus, Wind und Wellen sorgten immer wieder für erneute Fortsetzung, Gabriel zog seine Kreise, schier endlos  in der Abendsonne, ratlos und heftig gestikulierend. Mal trieben sie an Land auf kleine Felsbuchten zu, mal hinaus in die Bucht. Händeringend und ebenfalls rat- und hilflos stellte sich inzwischen der Besitzer des Dingis ein. Plötzlich die Wende: Hatte Poseidon seine Freude an dem Spiel verloren und beendete den Schabernack, den er hier getrieben hatte? Wie von selbst, ohne dass sich erkennbar etwas geändert hätte, konnte plötzlich der Steg mühelos angefahren werden. Das happy end scheint erreicht, kopfschüttelnd sprang Gabriel wieder an Land. Als Lohn für den heldenhaften Einsatz spendierte der glückliche Besitzer erleichtert eine Flasche Rotwein.

Für Montag war ursprünglich die Insel Kea geplant. Doch der erste Segeltag hatte einige Mängel offenbart, die wir per Funk meldeten. Sie sollten im Hafen von Lavrion behoben werden. Wahrlich kräftige Winde drehten uns um das Kap herum und wir steuerten- in den falschen Hafen. Wir befanden uns nicht im Hafen, sondern in der Marina Lavrion. Doch dieser Umstand blieb uns zunächst verborgen. Die navigatorische Fehlleistung wird nun meinerseits durch eine seglerische gewaltig ergänzt. Ich stehe am Steuer, der Wind hatte mittlerweile knappe 30 Knoten erreicht und ich sollte vorwärts in eine enge Lücke einparken. Mangelnde Anlegevorbereitung kamen nun erschwerend aber für mich nicht entschuldigend hinzu. Wir sind nicht auf ein Bug-Anlegemanöver vorbereitet, Leinen fehlen, Fender sind nicht ausgebracht. Ich sagte bereits, dies alles entschuldigt jedoch nicht mein Fehlverhalten. Ich zögerte kurz und damit begann das Verhängnis. Ich werde manövrierunfähig, komme nicht mehr gegen den starken Wind an und werde gnadenlos abgetrieben. Peter versucht noch rettend einzugreifen, jedoch zu spät. Machtlos müssen wir mitansehen, wie wir längsseits auf drei Schiffe gedrückt werden und nur beherzter Fendereinsatz v.a. von Olivia kann schlimmstes verhindern. Wir befinden uns in einer aussichtslosen Lage, vom Wind gegen drei Schiffe gedrückt mit eigener Motorkraft können wir uns nicht mehr befreien, jedes Motormanöver würde mehr Schaden als Nutzen bewirken. Die Einweiser der Marina haben schnell unsere Situation erfasst, einer eilt bereits mit einem starken Dingi zu Hilfe. Er legt uns an Leine und zieht uns in die vorhergesehene Lücke gegenüber. Es ist noch mal gut ausgegangen. Eine Überprüfung ergibt, dass weder die drei Schiffe noch unser eigenes beschädigt wurden. Die empfundene Ohnmacht und Hilflosigkeit bei dieser Situation wird mir aber noch lange in den Knochen stecken. Die Sicherheit, die ich inzwischen bei Anlegemanövern hatte, ist einer tiefen Verunsicherung gewichen. Und dann erfahren wir noch, dass wir uns im falschen Hafen befinden. Nur die Erleichterung, dass nichts passiert ist, lässt uns diese Peinlichkeiten ertragen. Um die notwendigen Mängelbeseitigungen durchführen zu lassen, müssen wir in die nächste Bucht, zum Hafen Lavrion. Nein, eigentlich wollen wir gar nicht weiter, der Wind hat weiter zugenommen und die Aussicht auf ein weiteres Anlegemanöver lähmt uns. Es ist Gabriel, der uns weitertreibt und die beiden Männer von Vernikos Yachting, die uns Zuversicht signalisieren. No problem, mit Motor nur eine halbe Stunde. Zögerlich verlassen wir unseren sicheren und mit viel Nerveneinsatz erworbenen Hafenplatz und motoren eine Bucht weiter. Eine weite Bucht, die viel Platz für Scheußlichkeiten bietet, liegt vor uns: große Werftanlagen, hohe Schornsteine, Fähranleger, mächtige Betonmolen greifen wie zwei Arme vom Hafen in die Bucht hinein. Nein, diesen Hafen hätten wir uns gern erspart. Diesmal steht Gabriel am Steuer, unserer Anlegemanöver wird diesmal gründlich und rechtzeitig vorbereitet, der Wind ist immer noch sehr kräftig, steht jedoch nicht seitwärts, sondern aufs Heck. Ohne Zwischenfälle erfolgt ein perfektes Anlegemanöver. Jeder von uns atmet auf, Gabriel wird mit viel Lob überschüttet. Die Reparaturen werden zügig, aber wie sich später herausstellt, erfolgslos durchgeführt. Wir bleiben den ganzen weiteren Törn ohne Logg, ohne Windanzeiger. Der defekte Geschwindigkeitsmesser meldet sich nach 3 Tagen von selbst wieder zurück. Auch während des kurzen Aufenthalts gelingt es uns nicht, Zuneigung zu diesem Industriehafen zu entwickeln. Der Charme von Industrieanlagen und ehemaligen Erzhalden prallt an uns ab, wir sind uns schnell einig, hier wollen wir schleunigst weg.

Trotz aller –leider von uns selbst verursachten- Widrigkeiten und Verzögerungen halten die kräftigen Wind an und mit gleichmäßigen 5 Bft gehen wir nun auf halben Kurs. Schon bald sehen wir schemenhaft Kea in unser Blickfeld rücken. Eine zerklüftete gebirgige Felsinsel mit weitestgehend kahlen, braunen Abhängen liegt links neben uns. Nach all den stressigen Umständen genießen wir ganz besonders unsere gleichmäßige Fahrt. Wind, Wellen, Wetter, und Wir – alle befinden wir uns in einem einmütig-heiteren Gleichklang. Wir beschließen deshalb, hier nicht störend einzugreifen und mit Kea unseren Tag zu beenden, sondern wir ziehen weiter nach Kythnos. Nach weiteren ca.2 Stunden genussvollen Segelns liegt unsere Ankerbucht vor uns: Ormos Kolona, eine schmale, lang gestreckte Bucht, die guten Schutz vor dem Meltemi bietet. In einer kleinen Einbuchtung auf der Nordseite werfen wir unseren Anker. Die Hügelkette fällt sanft ab zum Meer und läuft in einer kleinen Sandbucht vor uns aus. Links von uns, auf einer schmalen Landzunge markiert eine kleine Kapelle den höchsten Punkt der Anhöhe, doch vor uns, Richtung Osten der schönste Anblick. Weiße Sandstrände säumen türkisfarbenes Meer, über eine schmale Sandbarre hinweg führt der Blick in eine weitere Bucht. Eine völlig unberührte Natur umgibt uns, die einzigen wahrnehmbaren Lebewesen sind einige Bergziegen, die ihr schmales Abendessen auf den kargen Abhängen suchen.

Für den nächsten Tag ist Siphnos geplant, etwa 30 Seemeilen entfernt. Gleichmäßige Winde aus der „richtigen“ Richtung ermöglichen einen direkten Kurs. Mit für uns zufrieden stellenden 5 Knoten Fahrt nähern wir uns langsam, aber stetig unserem heutigen Ziel.

Wir passieren Seriphos, eine eher kuppelförmige Insel, unterhalb eines kleinen Berges leuchten die weißen Häuser der Chora herab. In der Ferne tauchen bereits die fast gebirgig erscheindenden Umrisse von Siphnos auf. Kahle, sonnendurchglühte Felsen bilden den ersten Landschaftseindruck bei der Annäherung. Wir halten Ausschau nach unserer Hafeneinfahrt, doch die Einfahrt ist schwer auszumachen. Eine Bucht nach der anderen zieht vorbei, bis wir die schmale Zufahrt zwischen zwei felsigen Landzungen erkennen. Wie durch einen Schlitz scheinen die Schiffe, die wir beim Näherkommen sehen, dazwischen zu verschwinden. Wir machen am Kai von Ormos Kamarais, dem Fährhafen der Insel, fest, zwischen zwei Molen. An Land befinden sich einige Tavernen, kleinere Geschäfte, Hotels und Pensionen, im Scheitelpunkt der Bucht am sanft abfallenden Ufer ein kleiner Sandstrand. Und eine regelmäßige Busverbindung nach Appolonia, dem ca. 6 km entfernten Hauptort der Insel. An welligen Hügeln vorbei, teils mit stacheliger Macchia, teils mit Felderwirtschaft überzogen, schraubt sich der Bus höher und höher. Appolonia liegt auf einer kleinen Hochebene, die Häuser der Stadt haben die Hügelkämme ringsum erobert.

 

Die blaue Kuppel einer Kirche zieht uns magisch an und so erklimmen wir die vielen Treppen. Eng und stufenreich sind nämlich die Gassen, beherbergen kleine Läden mit oft kreativem Schmuck und Keramikwaren. Blumenreich geschmückt sind die oft blauen Eingangstüren der strahlend weißen Häuser. Die Hausgärten sind mit Trockenmauern eingefasst, oft kunstvoll wirkende Mauerwerke, deren handwerkliche Kunstfertigkeit fasziniert. Die Gässchen öffnen sich immer wieder zu kleinen Plätzen, die Restaurants und Bars aufnehmen. Der Vorhof der Kirche erlaubt einen Rundblick über das Häusermeer, das sich auch auf die gegenüberliegenden Hügel ausbreitet. Ein blendend weißes Gewirr, mit einigen kleinen blauen Kuppeln, die Kirchen oder Kapellen markieren. In aller Ruhe und Beschaulichkeit können wir hier verweilen, keine Touristenströme lärmen vorüber. Im übrigen lohnt ein Blick in die Kirchen immer, und seien sie kunsthistorisch noch so unbedeutend. Die goldenen Ikonostasen im dämmrigen Inneren sind einfach ergreifend schön. Unsere Augen und Herzen sind satt geworden durch den griechischen „Zauber“ dieses Ortes, in einem der Restaurants, auf einem schönen mit alten Bäumen bestandenen Platz, finden sich dann auch die erhofften Gaumenfreuden ein.

Folegandros ist unser nächstes Ziel. Mit einem Kurs von ca. 150° peilen wir Karavostasi an der SO Seite der Insel an. Ein gleichmäßiger 4-5er Wind lässt uns in einer knapp 6stündiger Fahrt die 35 sm überwinden. Mäßige, längere Wellen, verziert mit kleinen weißen Schaumkronen, sind unsere Begleiter, plätschern beruhigend gegen die Bordwand, ein insgesamt wonniger Segeltag. An zerklüfteten Steilküsten entlang gelangen wir schließlich zur Hafeneinfahrt. Bereits von weitem ist sie gut auszumachen wegen der vorgelagerten Inseln. Die winzigen Felsinselchen, Nisidhes Adelphia wirken sehr reizvoll, durchglüht von der späten Nachmittagssonne in goldenem Ocker- und Rottönen. Hinter einer langen Felsmole geschützt, liegt ein kleiner Hafen, der Platz bietet zwischen einem kleinen Fähranleger und vielen Fischerbooten. Vor uns liegt ein kleiner Hafenort, mit einigen Geschäften und Bars. Vor Pinienbäumen breitet sich ein feiner Sandstrand aus, türkisblaue Wasser lockt, der Blick führt über die kleinen Felsinselchen hinaus aufs Meer, ein malerisches Hafenidyll. Von hier führt eine schmale Asphaltstraße durch eine kahle Schlucht hinauf in den Hauptort Chora.

 

Überragt wird die Chora von einer blendend weiß gekalkten Marienkirche, ein enger Serpentinenweg schlängelt sich hinauf zu der Anlage. Von dort oben bietet sich ein wunderbarer Panoramablick über die Stadt, die kargen landwirtschaftlichen Flächen, über das Meer, und selbst in unsere Hafenbucht. Es ist ein guter Plätzchen hier, ein schmaler Vorhof begrenzt die Anlage, enge Steinstufen führen hinauf zum freistehenden Glockenturm, selbst das Dach der Kapelle lässt sich über Treppchen erklimmen. Die gesamte Anlage strahlt eine Ruhe und Gelassenheit aus und lässt sich nicht aufstören durch unser neugieriges Herumstreunen. Es wäre ein Ort zum längeren Verweilen, doch auch das Dorf selber will noch entdeckt werden. Vom Kastro-Viertel heißt es, es sei eines der schönsten in den Kykladen. Ein Gegensatz sticht sofort ins Auge. Während der Blick über die Landschaft von Brauntönen bestimmt ist, wirkt die Altstadt wie eine grüne Oase. Viele Bäume und blühende Sträucher schmücken die Plätze und Straßen. Ein enges Gässchen, das wie eine Pforte wirkt, öffnet sich plötzlich zu einem weiten Dorfplatz. Unter großen alten Bäumen haben Tavernen Tische und Stühle ausgebreitet, auf einem freien Platz vor einer Kirche lärmen spielende Kinder, verschlungene Gässchen führen zu weiteren, etwas kleineren Plätzen. Der Wind vertreibt uns jedoch von den romantischen Dorfplätzen, wir ziehen uns in das Innere einer Taverne zurück und landen in einem klaren, strengen Innenraum, mit nur wenigen langen, schlichten Holztischen, hier gefällt es uns.

 

Der nächste Schlag führt uns nach Thira, bekannter vielleicht unter dem Namen Santorin. Wieder können wir unser Ziel auf direktem Kurs ohne lästiges und zeitraubendes Kreuzen erreichen. Nach 5 Stunden gleichmäßigem Segelns befinden wir uns an der Einfahrt zur Kraterbucht.

 

 

In der Mitte der großen Bucht erheben sich die beiden grau-schwarzen Kammeni-Inseln . Die kuppelförmigen Häuser von Thira liegen vor uns, kleben gleichsam am Kraterrand, und ziehen sich auf dem Kliffkamm oberhalb eines winzig wirkenden Hafens entlang. Die Blicke folgen dem sichelförmigen Kraterrand, wo sich am nördlichen Ende, nicht ganz so steil über dem Meer thronend, die weißen Häuser von Oia andeuten. Wir sind umgeben von einem Halbrund steil abfallender Felsklippen, die in gold angehauchten Pastelltönen von Braun, Rot, Grau schimmern, und durch das Dunkelblau des Meers und den zart-blauen griechischen Himmel begrenzt werden. Einzigartig, atemlos phantastisch die Bucht, kühn die Häuser von Thira, kein Superlativ scheint dem gerecht zu werden, bleibt durch Sprache fast unbeschreibbar, nur das unmittelbare Erleben lässt hier angemessen die Sinne erschüttern.

Trotzdem suchen wir das Weite, verlassen die Kraterbucht, fliehen von den hereindrängenden Kreuzfahrtschiffen und wählen für unseren geplanten Aufenthalt in Thira einen friedvolleren Ankerplatz.

Wir motoren wieder hinaus, setzen die Segel und drehen uns um das Kap Ak.Akrotiri herum. Auch hier wird der Küstenabschnitt von buntscheckigen Klippen geprägt die steil ins Meer abfallen. Vor einem intensiv roten Steilfelsen lässt sich ein rötlich schimmernder Sandstrand ausmachen, inklusive Sonnenschirmen und Strandliegen. Das Hafenhandbuch und die Karte weisen zwar hier entlang der Steilküste etliche Ankerbuchten aus, doch diese sind zu ungeschützt. Schließlich wollen wir bei unseren geplanten Landexkursionen keine Angst ums Schiff haben. Wir steuern Marina Vlychada an, nicht weit hinter dem Red Beach. Schnell sind drei Roller geordert und wir rattern über unbefestigte Sandwege hinauf zur Hauptstraße, die uns nach Thira bringen soll. Spektakulärstes Zentrum des dortigen Treibens ist die Kraterrandgasse. Bars, Restaurants, Touristengeschäfte (meist Juweliere) reihen sich aneinander, bieten in oft marktschreierischer Weise ihre Waren feil. Grell und aufdringlich ist dieser Rummel, die Preise sind reiner Nepp.

 

Die Einzigartigkeit des Ortes – verhökert und verramscht an die Touristen aller Welt. Wohl sehen wir die einmalige Schönheit, aufgetakelt und grell geschminckt ist sie jedoch verflacht zu einer seelenlosen Kulisse. Die Besichtigung von Oia ist für uns erfreulicher. Selbstverständlich findet sich auch hier Tourismus, doch der tobt sich hier nicht so schamlos aus. Um eine zentral gelegene Dorfkirche mit schönen Fresken breitet sich ein Gässchenlabyrinth aus, das zum Bummeln einlädt.

Im übrigen existiert zwischen Fira und Oia ein Wanderweg, der fast immer an dem Kraterrand entlang führt. Wer also dem Touristenrummel für einige Stunden entkommen will, findet hier einen gut begehbaren, stillen Pfad, mit wunderschönen Ausblicken auf die weißen Häuser von Fira und Oia, tief hinab in das Kraterbecken, hinaus aufs Meer. Aus roten Vulkanerde wuchern Margeriten, Mohnblumen, Ginster, Wacholder, Zistrosen; hohe Felsbrocken bilden einen naturgeformten Skulpturengarten. Wir folgen dem steinigen Steiglein hinauf zu einer kleinen Kapelle. Das wäre ein feines Plätzchen für ein Picknick, doch unsere kleinen Rucksäcke bergen nur Wasserflaschen. Und so treten wir bald wieder unseren Rückweg an.

 

Der nächste Tag beschert uns wieder einen schönen 4-5er Wind – aber aus der „falschen“ Richtung. Er bläst uns aus NNO entgegen und unser errechneter Steuerkurs nach Sikinos beträgt ca.300°. Es wird ein schöner, aber langer Segeltag mit vielen Wende – Manövern. Aus 20 sm Kartendistanz werden so spielend 45 sm über Grund. Um das Segeln nicht zu eintöniger Langeweile verkommen zu lassen, trifft Gabriel , während wir gerade über Notmanöver reden, einen einsamen Entschluss, dem sofort die Tat folgt: er springt über Bord. Das nun notwendige Rettungsmanöver trägt zwar nicht gerade zu einer Verbesserung der Stimmung an Bord bei, zeigt unser jedoch, dass wir souverän das „Mann über Bord“ Manöver beherrschen  - die inwendig aufgekommene Panik und den steil angestiegene Adrenalinspiegel wollen wir in diesem Rahmen lieber verschweigen. Ohne sonstige nervenaufreibende Zwischenfälle steuern wir nach knapp 9 Stunden in die langgezogene Bucht von Ormos Skala auf Sikinos. Es stehen ca. 24 kn Wind in die Bucht und erst beim zweiten Ankerversuch sind wir mit unserem Platz zufrieden. 3 m über gut haltendem Sandgrund, ausreichend Abstand von den Unterwasserfelsen an der W-Seite der Bucht, genügend Schwojabstand von einer anderen, leicht hysterisch wirkenden Crew einer benachbarten Yacht in der Bucht . (Kurze Zeit später beobachten wir amüsiert, wie sie wild gestikulierend eine dritte einlaufende Yacht in die Flucht schlagen und zu einem Ankermanöver weit draußen in der Bucht zwingen.) Der Wind lässt nicht nach, sondern gewinnt eher an Stärke. Und so bleiben wir zwei an Bord, Gabriel und Alexander tuckern mit dem Dingi davon zu dem kleinen Dorf, das sich um die Bucht herumzieht. Wir sind gerade beim Spaghetti-Kochen als die beiden zurückkommen und uns mehrere kleine weiße Schachteln an Bord reichen. Dicke weiße Bohnen, überbackene Auberginen, frittierte Zucchini und andere Köstlichkeiten ergänzen nun unser Spaghettimenü. Die anderen bevorzugen griechische Tavernenatmosphäre und ziehen wieder ab. Wir bleiben zurück, die Nacht senkt sich langsam über das Land und das Meer, träumerisch-friedlich ist die Stimmung in und um uns. Ein fast runder Mond steigt über der Bucht auf und wirft eine silbrig glitzernde Straße auf das unruhig-dunkle Meer. Es ist wunderschön hier.

Der nächste Tag beschert uns lauen 2-3er Wind. So nähern wir uns nur langsam unserem 36 sm entfernten Tagesziel Schinousa. Wir steuern damit eine der Inseln an, die zusammenfassend als die Einsamen Inseln bezeichnet werden. Sie liegen etwas im Abseits der großen Touristenströme und werden nur selten von den Schiffen angefahren. Doch die kleine Insel soll an ihrer Südwest-Seite eine Reihe von pittoresken Ankerplätzen bieten, die zudem durchaus Schutz vor kräftigeren Winden – die aber heute nicht zu erwarten sind- bieten . Der Hauptort Myrsini wurde auf der Kuppe eines Berges errichtet und unterhalb davon ist die schmale Einfahrt, die durch eine kleine weiße Kirche mit blauem Dach erkennbar ist. Türkisblaues Wasser, das so klar ist, dass man gut 10 m tief den weißen Sandgrund mit etwas Seegras bewachsen sieht. Kleinere Fischschwärme ziehen unter unserem Kiel durch. Ein einsamer Sandstrand liegt vor uns, von dort aus schlängelt sich ein Weg hinauf zum Dorf. Vorbei an einer Ziegen- und Eselsweide gelangen wir zu den ersten Häusern. Ruhig und verschlafen liegt dieser Ort vor uns. Die Dorfbewohner gehen gelassen ihren Alltagsgeschäften nach, die sie durch ein freundliches, vielleicht auch etwas neugieriges Lächeln für uns unterbrechen. Um eine kleine Kirche findet sich ein kleiner Platz, Zentrum davon ein altmodisches Kafenion mit einigen Sitzplätzen unter Bäumen. Durch einige verwinkelte stille Gässchen und schon hat man den Ort umrundet. Am anderen Ende finden sich doch Spuren von Tourismus, eine kleine Pensions- oder Hotel- Anlage, die aber den gesamten ursprünglich-unverdorbenen Charakter nicht trüben. Ein vorzügliches Restaurant findet sich in der Mitte des Dorfes, von der Terrasse dort bietet sich ein  traumhafter, durch die Abendsonne rötlich-vergoldeter Blick über die Insel hinunter zur Bucht und über weitere vorgelagerte kleine Inseln.

Der Wind schläft noch mehr ein. Mit lediglich 1-2 kn Wind motoren wir fast die gesamte Strecke (ca.28 sm) nach Paros, eine langweilige Angelegenheit. Wir ziehen zwischen der Meerenge von Paros und Naxos hindurch, hätten hier ein wenig auf die Düsenwirkung gewartet, doch das Meer bleibt glatt, kein leichtester Windhauch kräuselt die Oberfläche. Paros scheint nur aus einem Bergmassiv zu bestehen. Von hohen Gipfeln stürzen die Felsklippen steil ins Meer, das Land wirkt kahl und von der Sonne verbrannt. Die große Bucht von Naousa liegt  weit und offen vor uns, mit stark zergliederten Ufern. Eingelagerte Inselchen unterbrechen das schimmernde Blau, seltsame Felsformationen an den verschiedenen Landvorsprüngen verleihen der Bucht einen seltsamen, eigenartigen Reiz. Überreste einer venezianischen Hafenfestung markieren die Mole.

Die weißen Häuser von Naousa  werden überragt von einer Kirche mit roten Kuppeln. Am alten Hafen mit seinem winzigen Hafenbecken liegen die bunten Fischerboote dicht gedrängt. Rund um das Hafenbecken auf dem schmalen Kai stehen  ebenso dicht Tische und Stühle der Tavernen und Bars. Manche Fisch-Restaurants haben an Schnüren Oktopusse zum Trocknen aufgehängt, es riecht nach gegrilltem Fisch und Gyros. Dichtes touristisches Treiben zieht durch die schmalen, mittelalterlichen Gässchen, bummelt, verweilt, kauft Souvenirs. Obwohl sichtlich ein Zentrum des Tourismus herrscht   eine angenehme Atmosphäre in dem Städtchen.

 

 

Eine leichte Melancholie breitet sich an Bord aus. In die Freude über die hinter uns liegenden Erlebnisse mischt sich bereits die Trauer über das Ende des Segeltörns. Die vergangenen Stunde und Tage waren nicht in ein enges Zeitraster des Alltages hineingepresst, es war ein fließender Strom, unendlich scheinend wie Himmel und Meer, eine beruhigend- besänftigende Zeitmelodie, der man sich träumerisch überließ , von Wind und Wellen sich durch die Zeit treiben lassen – das alles hat nun bald wieder ein Ende. Denn wenn sich auch unser subjektives Zeitgefühl verändert hat, der objektive Zeitrahmen tickt unbarmherzig weiter. Auch noch so intensives Gegenwartsbewusstsein kann die Zeit nicht aufhalten. Die Halbzeit ist deutlich überschritten, zwei Stationen noch und unser Ausgangspunkt rückt langsam wieder in unsere Routenplanung.

Mit Ermoupolis auf der Insel Syros statten wir der nominellen Hauptstadt der Kykladen unseren Besuch ab. Als unseren Ankerplatz wählen wir nicht den Hafen von Syros (das Hafenhandbuch warnte vor stinkenden Abwässern, die in den Hafen eingeleitet werden) sondern Ormos Finikas. Mit dem Taxi nähern wir uns den beiden Zwillingsorten, die sich oberhalb des Hafens auf den Bergkuppen ausbreiten: das griechisch orthodoxe Viertel, das von der Himmelfahrtskirche überragt wird und das mittelalterliche Ano siros mit seinen katholischen Kirchen und Klöstern. Von dort oben, wo die Bischofskirche des Hl. Georgs den höchsten Punkt markiert, beginnen wir unseren Erkundungsgang. Den steilen Hügel führen schmale Gässchen herab, doch je mehr wir uns dem Zentrum am Hafen nähern, umso prächtiger werden Plätze und Gebäude. Stattliche klassizistische Gebäude wie Rathaus, Opernhaus, elegante Stadtvillen tragen die Spuren des einstigen Wohlstandes. Um einen großen mit Marmor gepflasterten Platz sammeln sich Feinkostläden, Bäckereien mit den feinsten Leckereien, Obstläden, Geschäfte. Diese Stadt scheint noch ihren eigenen Rhythmus bewahrt zu haben, kein touristischer Rummelplatz, sondern ein Ort mit einem eigenen Pulsschlag. Schön ist es hier sich dem Treiben der Stadt zu überlassen, angelockt mal von einer Kirche, einem besonderen Gebäude oder auch von einem besonders schönen schmiedeeisernen Balkon einer Altstadtvilla … oder von der verführerischen Auslage einer Bäckerei. In einem dieser Gässchen unter einem Laubengang finden wir dann auch den Restaurant-Tipp eines  Feinkostladenbesitzers. Und so rundet ein wirklich köstliches Mahl diesen Tag ab.

Ein prachtvoller 6-7er Wind bläst uns am nächsten Tag nach Kea, mit 42,5 sm wird dies unser längster Schlag. Die Windrichtung lässt ein direktes Zusteuern auf die Südspitze nicht zu, so dass wir mit 310° die Nordspitze anpeilen. Köstlich ist dieses Segeln heute unter diesen Windbedingungen, und selbst um das „Nordkap“ kämpfen wir uns mit sportlichem Ehrgeiz kreuzenderweise herum, um jedes einzelne Grad herauszureizen. In Vourkari erfolgt dann noch ein bravouröses Anlegemanöver bei 24 kn Seitenwind   von unserem Seglerküken Xantl und beendet so einen seglerisch hervorragenden Tag.

Die beiden letzten Tage enthalten nichts Erzählenswertes mehr, ohne Zwischenfälle und ohne besonderen Ereignisse- sie gehen einfach vorüber. Mit sanften 2-3er Winden durchsegeln wir den Saronischen Golf auf Kalamaki zu.

Unseren Aufenthalt in Griechenland krönen wir mit einem Besuch der Akropolis – der marmornen Wiege der abendländischen Kultur. Wir klettern über historisches Geröll hinauf zu den Propyläen, dem Parthenon, dem Niketempel. Nach all der meist ursprünglich erlebten Naturschönheit nun steingewordene Kulturschönheit, erlesenstes Produkt  der klassischen Athener Baukunst. Unter uns im Smog der Großstadt ein verschwommenes Meer von Häusern, das endlos in die Landschaft hineinwuchert. Während mein Verstand noch den Kolonnaden und Säulenhallen als Meisterleistung des Menschen ehrwürdige Bewunderung zollt, wendet sich mein Herz zurück zur unberührten Natur: dem unbezähmbaren Meer, dem vom Wind geformten Schaumgekräusel der Wellen. In dieses Erinnerungsbild fügen sich mosaikartig Bilder von weißen Dörfern mit roten und blauen Kuppeln, in Rot und Ockertönen schimmernde Felsküsten, türkisblaue Buchten, karge braune Vegetation und über allem der strahlend-blaue griechische Himmel.  

 

Andrea Kampf