Alpenrunde mit dem Motorrad Juli 2004

 

Wer unseren Spuren folgen will, lässt sich auf  die vielfältigsten Eindrücke unserer Alpenlandschaft ein: alles Weiche und Sanfte einer Schweizer Almen-Alpenlandschaft, alles Schroffe und Zerklüftete der französischen Seealpen, alles Bizarre und Eisglitzernde einer Gletscherwelt in den Grandes Alpes, stille Gewässer, tosende Wildbäche, enge Schluchten – kurz, alles, was in der ganzen Natur unserer Alpen zer- und verstreut ist. Auf unserer Motorradtour versuchten wir einen Ausschnitt aus dieser Vielfalt einzufangen und haben dabei die schönsten Berg- und Passstrassen des Alpenraums zu einer grandiosen Panoramarunde verknüpft.

 

Wolfgang, Mike und Peter mit den Bikes

 

In 10 Tagen meisterten wir über 30 Pässe und durchzogen  zahlreiche Schluchten, auf insgesamt ca. 3500 Kilometer.

 

Wir starten am 21. Juli in den niederbayerischen Morgennebel hinein. Doch nach dem bisherigen Sommer sind wir froh, dass sich nicht Schauer oder Nieselregen dazugesellen. Erst ab München (bei Höhenrain erwartet uns bereits Wolfgang) setzt sich die Sonne und blauer Himmel durch. Wir ahnen noch nicht – und wagen es kaum zu wünschen- dass dieses Wetterglück uns während der nächsten 10 Tage erhalten bleibt. Unsere Anreise führt uns durch das liebliche Unterengadin, weiter ins Oberengadin, am mondänen St. Moritz vorbei. An einem der Oberengadiner Seen werfen wir uns für einen kurzen Zwischenstopp ins Gras.

 

 

Die großartige Bergkulisse, der blau-grün glitzernde See – ein wunderbares Plätzchen. Und als amüsante Unterhaltung zeigen uns zwei Surfanfänger ihren tapferen Kampf gegen Wind und Welle, den wir amüsiert verfolgen. Nach dem Silser See setzt sich unsere Anfahrt fort über den ersten nennenswerten Pass, die Malojapassstraße. Vorbei ist es mit der freundlich heiteren Landschaft des Oberengadin. Wir meistern unsere ersten Spitzkehren, enger rückt die Landschaft zusammen, das weite Grün der Schweiz verengt sich zu einem wild-wucherndem, mit Felsbrocken durchsetzten engen Tal, bis wir Chiavenna erreichen. Die bisherige gewählte Route verläuft recht ruhig, selbst entlang des Comer Sees kommen wir bei mäßigem Verkehr gut voran. Es ist erst 16.00 Uhr. Wir sind gut drauf, so dass wir uns für eine Weiterfahrt entscheiden. Zügig geht es weiter – bis wir uns Mailand nähern. Wir verfransen uns hoffnungslos im italienischen Autobahnnetz, dass gerade die tägliche Feierabend-rush-hour ist, erleichtert die Sache auch nicht gerade. Irgendwo haben wir einen Hinweis auf die Autobahn übersehen und wir spüren widerstrebend, wie der Verkehrssog uns immer mehr in Richtung Innenstadt zieht. Wir verlassen das innerstädtische Autobahnnetz -  um   im Häusermeer eines italienischen Großstadtdschungels herumzuirren. Genervt suchen wir nach Hinweisen, die uns zurück zur Autobahn, Richtung Turin, bringen.  Wir sehen uns schon die nächsten 10 Tage in den Vororten Mailands verbringen, doch nach einem kleinen Zwischenfall, spuckt uns das Straßengedärm der Großstadt wieder aus. Vier Niederbayern sind wohl doch ein unverdaulicher Brocken für italienische Verhältnisse. Weit schaffen wir es nach diesem Stress nicht mehr, wir suchen und finden dann in Novara unser erstes Nachtquartier.

Die nächste Tages-Etappe führt uns durch die wirtschaftlich aufstrebende Region der Lombardei, sprich an vielen Großbaustellen entlang. Ab Turin verlassen wir die Autobahn und peilen Cuneo an. Diese Stadt liegt prachtvoll  auf einem keilförmigen, steil abfallenden Plateau zwischen zwei Flüssen. Unser Weg führt uns schnurstracks, vielleicht haben wir auch eine Abzweigung übersehen, geradewegs zu ihrem Zentrum: ein riesiger, arkadengesäumter Platz. Diesem Wink können wir nicht widerstehen, an dieser Piazza  mit seinem großen Viereck aus klassizistischen Gebäuden legen wir einen Capuccino-Stopp ein. Eine breite prächtige Boulevardstraße führt uns wieder aus der Stadt hinaus und bringt uns den französischen Seealpen näher. Ein reizvolles Tal führt uns zum Col de Tende, der für uns das Tor nach Südfrankreich wird. Nach einer kurzen Tunnelfahrt, für Geländemaschinen gibt es eine spannende Umgehung, liegen die Ausläufer der Meeralpen vor uns. Ein zergliedertes Bergmassiv strebt empor, das einen gefälligen grünen Mantel trägt. Nur ab und zu erheben sich daraus die Spitzen grauen Felsgesteins. Nach Saorge durchqueren wir die schmale Schlucht der Gorges de Saorge. Die Straße führt entlang an hohen, grauen Felswände, links von uns liegt das enge, mit großen Gesteinsbrocken gefüllte  Bett des wild schäumenden Gebirgsflusses. Auch das wird auf seiner anderen Seite begrenzt durch hohe Steinwände, nur ein schmaler blauer Himmelsstreifen liegt zwischen den beiden Felsenmauern.  Ein unglaublich schöner Streckenabschnitt ist diese wild-romantische Schlucht. Wenn sich die Felsen etwas öffnen, wird der Blick frei nach oben, an einigen Stellen hoch über dem Fluss stehen auf grünen Anhöhen kleine trutzige  Bergdörfer. Kurz danach zweigen wir ab zum Col de Brouis. Mediterrane Landschaft umgibt uns hier. Zwischen Natursteinterrassen eingefriedet, kleine Olivenhaine, Platanen, Kastanienbäume, eine heiterer Gegensatz zur vorherigen Schroffheit der Schlucht. Mit Sospel  finden wir den Ort, der in seiner Heiterkeit genau zu dieser Landschaft passt. Sehr malerisch an einem Fluss gelegen, laden uns Cafes und Pizzerias, die unter lichtem Baumschatten ihre Tische und Stühle ausgebreitet haben, zu einem kleinen Spätnachmittagpäuschen ein. Von dort aus geht es über Moulinet zum Col de Turini. Zunächst mäßig ansteigend, führt die Straße in zahllosen, weichen Kurven in das Tal hinein. Immer dichter drängen sich jedoch bald die Felswände heran, bis sie kurz vor Moulinet einem dichten Mischwald Platz machen. Aus dem sanften Kurven werden dann auch bald die Spitzkehren (lacet), bis wir die Passhöhe erreicht haben. Hier oben, im Hotel 3 Vallees, bleiben wir über Nacht.

Der nächste Morgen beginnt mit einem kurvigen Abstieg zu den schönen Bergdörfern Lantosque und St. Jean. Bei der  Durchfahrt  der Gorges de la Vesubie kurven wir wieder zwischen wildtosendem Bach und Felsmauern dahin, ein köstliches Vergnügen, das dadurch gesteigert wird, dass Strasse und Natur nur uns zur Verfügung stehen. Kein Verkehr zwingt uns einen anderen Rhythmus auf, wir gleiten, ungehindert durch andere Autos, von einer Kurve in die andere. Die Straße führt Richtung Meer nach Nice, doch ab Vence sind wir fast wieder allein auf der Piste. Die Landschaft hat sich stark verändert. Ausgebrannte, vegetationslose Hügel neigen sich zum Meer und erstrecken sich bis zum Col de Vence.  Kurze Zeit später geht es in weichen Kurven und durch grüne Laubwälder wieder hinab. Der weitere Weg zu unserem heutigen Tagesziel, dem Grand Canyon du Verdun führt uns über den Pas de la Faye und den Col de Valferriere.   Weiche, schön geschwungene Kurven, fast kein Verkehr, mediterrane Landschaft sind die Merkmale dieses Streckenabschnitts. Über eine kleine Hochebene geht es weiter nach La Bastide und Comps sur Artuby. Wir nähern uns allmählich dem Grand Canyon, der im Herzen der Provence ein ganz besonderes Naturwunder darstellt. In Millionen von Jahren hat sich der Fluss Verdon ein eigenes Reich geschaffen, mit bizarren Schluchten und Felstürmen.  Mit unglaublicher Schöpfungskraft wurde eine phantastische Felsornamentik geschaffen, vielfältig an Formen und Farben. Die Panoramastraße entlang des Südrandes (Rive gauche) führt in wunderschönen Kehren durch Felstore, unbeleuchtete Tunnels und in luftige Höhe über eine  Brücke, die eine gigantische Schlucht überspannt. Immer wieder finden sich kleine Parkausbuchtungen, die Gelegenheit zu den spektakulärsten Ausblicken gewähren. Man sollte sich Zeit nehmen für diese ca. 20 km lange Strecke entlang des Erdkraters, der  teilweise bis zu 700 m tief hinabreicht. Die engen Passagen öffnen sich immer mehr und geben den Blick frei auf den unter uns liegenden türkisschimmernden Lac de Ste-Croix. Wir umrunden die Nordostspitze des Stausees  bis wir in Moustiers  unseren Motorrad-Tag beenden. Vor allem die Hitze hat uns am heutigen Tag schwer zugesetzt und wir fassen unser Glück nicht, dass unser Hotel einen Swimming-Pool besitzt, in dem die heutigen Strapazen sich bald auflösen. Moustiers ist übrigens ein ganz reizender Ort, der sich auf einer Seite an ein kleines Felsmassiv anschmiegt. Hoch über dem Ort, über einen steinigen Serpentinenweg erreichbar, liegt eine  kleine Wallfahrtskapelle, die einen prächtigen Ausblick gewährt.

 

 

Die heutige Etappe soll uns auf die Route des Grandes Alpes führen. Zunächst geht es jedoch wieder zurück zum Grand Canyon, diesmal auf der Nordseite entlang. Diese Strecke präsentiert sich völlig anders. Die spektakulären Blicke in die Tiefe fehlen. Es geht über eine Hochebene mit Weidelandschaft, kleinflächigen Lavendel- und Sonnenblumenfelder. Am Ausgang der Schlucht verläuft die Straße stellenweise direkt entlang den Windungen des Verdon. Durch abwechslungsreiche Landschaft geht es über Castellane am Barrage de Castillon, einem tiefblauen Stausee, entlang. Über den Col de Toutes Aures gelangen wir in die Schlucht der Daluis. Wir folgen dem breiten gerölligen Flussbett in langgezogenen, weichen Kurven, die ich so liebe. Unvermittelt ändert sich wieder die Landschaft: Rote Felsformationen rücken immer näher an die Straße heran, bis sich die Straße sogar in das rote Felsmassiv hineinschneidet. Felstore und Tunnels führen durch das dunkelrote Gestein. An einigen Stellen führt die Straße einspurig schmal um manches Felsgestein herum, nahe an der Schlucht, nur durch ein niedriges Mäuerchen gesichert, schwindelerregende Blicke tief hinab bietend.  Höchste Konzentration ist vom Fahrer gefordert auf diesen extrem engen Umfahrungen, für mich als Beifahrer ist dieser Abschnitt durchaus mit einem kleinen Nervenkitzel verbunden, ermöglicht mir doch die höhere Sitzposition ungehindertere Sicht in die Abgründe.  Nach einem kurzen Zwischenstop in Guillaumes  geht es wieder bergauf, hinauf zum Croix de Valberg, durch schattige Lärchenwälder auf die Passhöhe des Col de la Couillole. Über dem Waldgürtel erheben sich die vegetationslosen Gipfel der umgebenden Dreitausender. Doch auch hier verweilen wir nicht und tauchen, zügig unserem inneren Weg folgend, hinab in die üppig grüne Schlucht des Tinee. Warm feuchtes Tropenklima umgibt uns, lässt kleine Schweißbäche zwischen den Schulterblättern   hinabrieseln. Der bisherige Tag ist wieder übervoll von den unterschiedlichsten Landschaftsbildern, jedes einzelne würde man am liebsten abspeichern, bewahren, jedes hat seine eigene Schönheit. Doch der Höhepunkt des Tages – fast wortwörtlich zu nehmen- steht uns sogar noch bevor. Wir nähern uns dem Col de la Bonnette und dem Col de Restefond, die mit ihren 2802 und 2678 Metern zu der höchsten Passstraße der Alpen gehören.

 

 

Wenn auch dies beeindruckend- beängstigend klingt, die Straße selbst ist zunächst problemlos breit und gut ausgebaut. Die umgebenden Hänge und Täler, durch die sich die Straße immer höher hinaufwindet, sind kahl, nur ein leichter Anflug von niedrigen grünen Matten färbt die dunkel-grauen Hänge. Trotz der Höhe lässt sich nirgends ein Gletscher oder nur ein kleiner Schneefleck ausmachen. Das Auge sucht vergeblich nach Reizpunkten, es gleitet immer wieder an den vegetationslosen Massiven ab, in die lediglich Geröllhalden ihre grauen langgezogenen Muster hineinmalen. Plötzlich tauchen Steinhütten auf. Es handelt sich hier um die Überreste ehemaliger Militärunterkünfte aus dem 19. Jahrhundert, die Napoleon III anlegen ließ. Die Straße ist inzwischen schmäler geworden, teils auch mit schlechtem Belag. Doch bald nun stehen wir auf dem Einschnitt eines Berggrates. Links von uns liegt ein Bergkegel, der Cime de la Bonette, um den die Straße wie eine Schleife herumführt.  In schier endlosen Kurven und Kehren führt die Abfahrt in 24 Kilometern über 1400 Höhenmeter wieder hinab nach Jausiers, durch grüne Täler, die von kleinen Wildbächen durchzogen sind. Die karge hochalpine Welt bleibt hinter uns. Vor unserem Nachtquartier absolvieren wir noch wie nebenbei unseren 6. Pass des heutigen Tages, den Col de Vars, von dem sich nur sagen lässt, dass er weder unangenehme noch angenehme Überraschungen für uns bereithielt. Vielleicht haben aber auch die Fülle und Vielfalt des Tages unsere Sinne abgestumpft, wir sind fast nicht mehr aufnahmefähig für weitere Eindrücke. Die Landschaft zieht vorbei, ein bewusstes Aufnehmen gelingt fast nicht mehr. Scheinbar ist für heute der innere Film voll.  Es wird Zeit für ein Nachtquartier, in Guillestre finden wir ein, wie wir meinen, annehmbares Hotel.

Das Frühstück in unserem Hotel kostet 14! Euro pro  Person. Wir entschließen uns, dieses Superfrühstück nicht in Anspruch zu nehmen und gehen stattdessen in ein kleines Cafe im Ort. Dort zahlen wir dann für 4 cafe au lait mit Croissants zusammen 12.80. Obwohl Sonntag ist, sehen wir Leute aus Bäckereien und Metzgereien kommen. So ziehe ich los, um französische Leckereien für ein Picknick einzukaufen. Knusprige Baguette, kleine Quiche, Würste, Käse werden in unseren bereits vollen Koffern gerade noch verstaut.

Der Tag, es ist ja Sonntag, setzt sich  mit einem Spritproblem fort. Die Tankstellen sind entweder geschlossen, oder das Tanken ist  nur mit einer  bestimmten Karte möglich. Stellen wir uns nur so blöd, oder fehlt uns wirklich die richtige Karte? Eine nette Französin versucht zu helfen, vergeblich. Doch sie gibt uns einen Tipp: bei einem auch sonntags geöffneten Supermarkt außerhalb von Guillestre wäre eine Tankstelle, die möglicherweise die Kasse besetzt hat. Und so ist es auch dann.  Nach solchem Hin und Her, mittlerweile kennen wir uns schon fast richtig aus in Guillestre, verlassen wir den Ort –mit ausreichend Sprit im Tank- durch eine wild zerklüftete Schlucht Richtung Col d’ Izoard. Durch die enge Klamm führen mehrere Tunnels, Brücken, immer wieder unter Felsvorsprüngen hindurch. Das Flussbett wird breiter, große Marmorblöcke in weiß, grün und rosa aufnehmend. Wir gelangen nach Arviex, inmitten weiter grünen Almen.  Auf den Pass zu wird es immer brauner und grauer. Die wenigen, kleinen Ansiedlungen scheinen organisch aus dieser Landschaft herauszuwachsen. Die Braun- und Ockertöne der Häuser werden durch keinen Blumenschmuck verziert, schlicht und dichtgedrängt umstehen sie die Kirchtürme, die wie graue Felsspitzen  aus den Ortsmitten herauswachsen.    Die Straße schraubt sich immer höher, bis wir ab ca 2000 m, also kurz vor dem Pass, durch eine bizarre Mondlandschaft fahren.

 

 

Aus den feinen Geröll- und Sandhängen wachsen  merkwürdig ausgeformte Figuren  heraus, ein gigantischer Skulpturengarten aus Stein und Fels, Türme, Nasen, Pyramiden und immer dieser Gegensatz zwischen scheinbar weichem Sand, aus dem das harte Gestein herauswächst.   Über die N91 nähern wir uns dem Col  du Lautaret und dem Col du Galibier.

 

 

Vorbei an kargen Weiden, Geröllfeldern mit Schneeresten führt uns ein meist gut ausgebaute Trasse auf den 2058 hoch gelegenen Col du Lautaret und einige Kilometer noch weiter hinauf zum 2646 hohen Scheitelpunkt. Granitwände, scharfe Felsgrate, Eisfelder  umgeben uns hier und bieten einen großartigen Panaromablick hinein in eine starre hochalpine Welt aus Fels und Schnee. Auf breiter Straße verlassen wir die Gletscherregion  über den dicht bewaldeten Sattel des Col du Telegraphe. Über Modane nähern wir uns dem Col de l’Iseran.  Die Zufahrt erfolgt über  einen grünen Talboden, in den verstreut kleine Siedlungen aus Natursteinhäusern stehen. Ein größeres Dorf, Bonneval, scheint  in noch völlig ursprünglicher Schönheit nur aus alten grauen Steinhäusern  zu bestehen. Ab hier folgen wir der kurvenreichen Auffahrt zum Col de l’Iseran, mit 2770 m der zweithöchste  Alpenpass. Ein Stand mit Süßigkeiten und eine kleine steinerne Kapelle markieren die Passhöhe, und selbstverständlich die vielen PKW’s und Motorräder ringsum die steinerne Passtafel. Bei dem Rummel verweilen wir nur kurz, gelangen nach dem Abstieg an der abschreckend hässlichen Retortensiedlung Val d’Isere vorbei, und beenden, wieder Mal reichlich müde, unseren Tag in Ste Foy.

Inzwischen ist der sechste Tag unserer Tour angebrochen und auch der beginnt mit einem Morgenproblem: der Schlüssel für die Garage, in der unsere Mopeds untergestellt sind, scheint unauffindbar. Erst nach einigen sinnlosen Wegen zwischen Hotel und Garage, wird der Herr des Schlüssels ausfindig gemacht und wir können in den Tag hinein starten. Das Wetter ist trübe und unter bewölktem Himmel ziehen wir weiter. Nach einem kleinen, aber zeitaufwendigen Abstecher zum höchstgelegenen Flugplatz Europas in Courchevel setzen wir unsere Pässetour fort. Nach Seez  konzentrieren wir uns wieder aufs Motorradfahren, in feinen Kurven geht’s hinauf zum Col du Petit St. Bernhard, der Verkehr ist mäßig. Die Strecke ab der Passhöhe gefiel mir besonders gut, ständig hatten wir das Mont-blanc Massiv  prächtigst vor unseren Augen. Lag darin eine besondere Anziehungskraft? Wir wollen ins Val de Veny, um den MontBlanc Gletscher hautnahe zu erleben. Hinter Modane, an einem kleinen Fluss finden wir unter schattigen Pinien ein feines Picknickplätzchen. Doch das idyllische Gefühl ist bei der Weiterfahrt bald wieder verflogen. Viel Verkehr, immer wieder vorbei an Baustellen und auch der immer noch trübe Himmel verleiden uns etwas diesen Abstecher. So geht’s wieder zurück, aber die Strecke nach Aosta ist ebenfalls kein Vergnügen.   Viel zu viel Verkehr! Wir sind froh, als wir Aosta hinter uns lassen können und übernachten in Saint Oyen im Hotel Mont Velan, gleichsam zu Füßen des Großen St. Bernhard-Passes. Viel Verkehr, wenig Landschaft- so bleibt mir der heutige Tag in Erinnerung. Da hätten wir gleich auch in Mailand bleiben können, wobei wir dort doch etwas schwerer ein nettes Picknickplätzchen gefunden hätten.

Montag morgen ist wieder ein blauer Himmel über uns, die Auffahrt zum Passo di Grande San Bernardo löst ein wahres Glücksgefühl aus.   Die Farben erstrahlen gerade zu in einem besonders klaren Licht, die Kehren hinauf zum Pass sind weich und ohne allzu starke Steigungen. Viel zu schnell sind wir oben. Tiefe Wolkenfetzen und Nebelschwaden ziehen über uns hinweg. Nur die Umrisse des kleinen Sees zeichnen sich aus dem diffusen Schleier   etwas ab, doch plötzlich zerreißt ein Sonnenstrahl den Nebel und das Wasser liegt glitzernd vor uns.  Die nördliche Abfahrt gleicht eher einer gut ausgebauten Schnellstraße als einer Passstraße. Da jedoch wenig Verkehr ist, bleibt auch das ein Vergnügen.  Über Martigny wollen wir weiter zum Col de la Croix. Zunächst noch vorbei an terrassierten Weinhängen, sind wir bald inmitten einer üppig-grünen schweizerischen Almenlandschaft, selbst auf hochgelegenen Berghänge weiden Kühe. Dass sie sich nicht bloß da oben aufhalten, zeigen die Kuhfladen auf der Straße an. Kurz nach der Passhöhe halten wir an. Zu einer kleinen Anhöhe hinauf führt ein kleiner Weg zu einem Restaurant „Les Macey“. Auf der Sonnenterrasse mit einem Panoramablick über die Almen lassen wir uns aus der hauseigenen Fromagerie eine Käseplatte servieren. Mhmm, köstlich. Über den Col des Mosses , wieder hinab nach Chateau-d’Oex, das in einem weiten Almental liegt, eingerahmt von Felsengipfeln.  Gruyeres,  Jaunpass, dem Thuner See entlang und wir nähern  uns unserem heutigen Tagesziel: Grindelwald. Es ist eine liebliche Landschaft, durch die wir hier ziehen. Sattgrüne Wiesen, sanftes Bergpanorama, prachtvolle Chalets, blumengeschmückte Bauernhäuser mit ihren adretten Vorgärten und gepflegten Gemüsegärten – alles verdichtet sich zu einem Bilderbuchcharakter der Schweiz. Bei Grindelwald ragen aber dann die Berg- und Felsenkämme beklemmend nahe an der Siedlung hoch. Wetterhorn, Schreckhörner, Große Scheidegg, Fiescherhörner, Eiger, Mönch, Jungfrau sind nur einige der großen Bergnamen, die sich in ihrer Gewaltigkeit um das Dorf versammeln. Am Ende des Dorfes, gegenüber des Fiescherhorns quartieren wir uns in einem  Hotel mit Namen Fiescherblick, für 50  €/ Person ein, wobei ein zimmer mit ebendiesem Blick 20 € extra kostet.  Das zugehörige Restaurant tischt uns in einer gepflegten Gaststube feinste Gourmetküche auf. Unser Lammhaxerl in Thymian-Honigsauce war wirklich unser bisheriger kulinarischer Höhepunkt.

Am nächsten Tage dürfen sich unsere Motorräder ausruhen, wir dagegen absolvieren touristisches Programm. Mit der Jungfrauenbahn hinauf zur Kleinen Scheidegg. Zwei von uns zieht es weiter hinauf, ins ewige Eis.

 

 

 

Wir wandern hinüber zum Männlichen.

 

 

Die letzten beiden Tage stehen schon deutlich im Zeichen der Heimfahrt. Folgende Pässe werden dabei überwunden: Grimselpass, Nufenenpass, St. Gotthard, Oberalp, Lenzerheide. In Tiefenkastel trennen wir uns. Wir haben auf unserer letzten Etappe den Flüelapass, nach dem Unterengadin die Pillerhöhe, den Kühtaisattel und den Seefeldsattel vor uns, ehe wir wieder unser heimatlich-niederbayerisches Lüfterl um die Nase haben.

Gibt es ein Resümee für diese 10 Tage? Im Innern bleibt immer unvergleichlich mehr zurück, als in Gestalt von Worten herauskommt. Die Erinnerung an die Landschaften, das nomadenhafte Dahinziehen, die durchwegs heitere Grundstimmung unserer kleinen Gruppe wird zu einem Gefühl, das teilweise undefinierbar bleibt.

Mitteilen lässt sich aber das Bewusstsein, dass es nicht immer fernste Länder und andere Kontinente sein müssen, um großartige, unberührte, und oft fast einsame Landschaften zu erleben.

 

© Andrea Kampf 2004