Ägypten - Zwischen Sphinx und Gegenwart

 

 

 

Einleitende Betrachtungen

 

Meine Erlebnisse und Eindrücke sind nicht chronologisch einreihbar auf einer Zeitengerade. Die Erinnerungen an Ägypten fügen sich vielmehr zu einem bunten Mosaik zusammen.

Noch eine andere Einschränkung möchte ich vor der eigentlichen Rückschau einschieben. Ich suche hier nicht Objektivität. Den Anspruch auf allgemeingülige Aussagen werde ich nicht erheben, solche objektiv überprüfbaren Auskünfte überlasse ich bereitwillig den Ägptenkennern. Ein subjektives Bild soll entstehen, wobei Intuition meine Methode, meine Sinne die dazugehörigen Instrumente sind.

 

Kontaktaufnahme

 

So betrete ich Ägypten wie immer ein fremdes Land: all meine Sinne sind weit, offen, die Eindrücke schier aufsaugend überAugen, Ohren, Geist  und Seele.

Unter den ersten Eindrücken zucke ich jedoch zusammen. Soviel Ärmlichkeit trifft mich unvorbereitet. Staub, verfallene Lehmhütten, bettelnde Kinder und wieder Staub. Die Ruinen eines altägyptischen Tempels können der Gegenwart keinen Charme abschmeicheln. Wir geraten unversehends in ein spätnachmit­tägliches Markttreiben. Später erst begreifen wir, daß wir hier in diesem Ort einen nahezu unverfälschten Markt erleben. In Luxor oder Assuan erscheinen die Märkte wie folkloristische Veranstaltungen. Vom örtlichen Fremdenverkehrsamt organisiert, gerade noch den Hauch orientalischen Flairs, den die Luxustouristen aus aller Welt ertragen. Bunt, lärmend, voller meist wohlriechender Gerüche. Eine wahre Opernkulisse. Doch Esna -nein hier ist es kein Alibi für romantikversessene Bustouristen. Hier bieten einfache Bauern den Stadtleuten ihre Produkte an, im Schneidersitz kauern sie zwischen ihrer Ware, ausgebreitet auf schnuddligen Tücher, die vorbei getriebenen Esel hinterlasssen dicht davor ihren Kot, uralte Motorräder knattern vorbei, der aufgewirbelte Staub legt sich auf die Ware, flirrt durch die Luft, verklebt bald die Lunge. Doch der erste Eindruck verflüchtigt sich bald. Es sind die Gesichter, in die man blickt, die die Düsterkeit vertreiben. Nicht dumpf brütend sitzen die Menschen da, nicht unzufriedne Hast verbreiten die Vorbeieilenden. Heiter, lachend und ewig schwatzend präsentieren sie sich, diese Ägypter.

 

"Hohe Kulturgüter"

 

Unbestreitbar stehen im Mittelpunkt einer Ägyptenreise die Zeugnisse einer vieltausendjährigen Kultur und Geschichte. Man sucht die Begegnung mit Tempel und Gräbern aus der altägyptischen Zeit der Pharaonen. So will auch ich anknüpfen an ein zwar Jahre zurückliegendes, doch immer wieder noch lebendiges Interesse an diesem Abschnitt der Menschheitsgeschichte.

Denken wir Europäer ans Altertum, so fällt uns zunächst griechisch-römisches Erbe ein. Doch angesichts altägyptischer Altertümer scheint uns diese Vergangenheit zeitgenössisch modern zu sein. Wir stehen staunend vor den Tempeln in Edfu, Kom Ombo, Esna. Sicher kennt man Abbildungen aus Kunstbüchern. Aber das Gefühl für diese Monumentalität spürt man erst in diesen Tempeln. Sie scheinen das Werk von Riesen zu sein oder Halbgötter türmten sie auf in einer trunkenen Sehnsucht nach dem Himmel. Und so stehen wir auf heiligen Bezirken, in Götterwohnungen, einst von ehrwürdigen Priester in altüberlieferten Ritualen bewacht und bewahrt. In seltsamer Geschwätzigkeit sind die monumentalen Mauern und Säulen bedeckt mit den Lebensstationen von Königen. Millionen von Schriftzeichen künden von einem rührend naiven Glauben an ein ewiges Weiterleben durch Erinnerung, von einer Hoffnung, den irdischen Tod zu überwinden. Und so scheint es keine grausamere Rache zu geben, als -wie z.B. im Tempel der Hatschepsut geschehen- den Namen des Erzfeindes aus den Steinen zu tilgen. Denn wessen Name aus dem Gedächtnis gelöscht ist, hat nach altägyptischer Auffassung wahrhaft den Tod erlitten.

Einst also magische Orte, an denen sich mythische Sagen mit erinnerter Geschichte verflechten, ein zartes Gewebe aus Menschheitsgeschichte und Götterglaube, werden heute von Reisebussen überschwemmt, von bildungsgeilen, mit Videokameras und Fotoapparaten bewaffneten Touristen entweiht. Dümmliche Ahs und Ohs steigen auf zu den steingehauenen Göttern in Falken-, Kuh- oder Krokodilsgestalten. Wohlfeil bieten die Reiseführer ihr Wissen an. Jahrmarktschreier der Bildung. Ein Rummelplatz der Vergangenheit : statt Bratwürste ebenso schwerverdauliche Jahreszahlen der ägyptische Dynastien, statt Geisterbahn blutrünstige Göttergeschichten aus Urzeiten.

Nur einmal wird Vergangenes lebendig, wird Geschichte zur Gegenwart, weht ein zauberischer Hauch durch die Tempel. Die Ton- und Lichtschau in Luxor erweckt für die Zeit der Vorführung die Tempelstadt von Karnak zum Leben. Nahezu 1000 Jahre Geschichte erstehen, machtvolle Blütezeiten ziehen vorüber wie auch Zeiten der Ungerechtigkeiten und Korruption, Einheit und Zerrissenheit königlicher Macht wechseln sich ab. Doch die Amun-Priester von Karnak verrichten im Zeitenlauf ihren unwandelbaren Dienst für ihren Gott Amun, dessen Gemahlin Mut und ihren Sohn Chon. Spürbar ist die Macht, die dieses Zentrum des Amun-Kultes besaß. Und man zollt dem ungeheuren Mut eines Echnatons Respekt, der es wagte, sich gegen die Jahrtausende alte Macht zu stellen. Und schon im Aufkeimen dieser geistigen Revolution ahnt man die Aussichtslosigkeit dieser Bewegung. Kaum war Echnaton tot, übten die Amun-Priester wieder ihre Macht aus, erklärten den Reformator zum Ketzer.

 

Der Nil

Der Geschichtsträchtige

Einer der ersten Fackeln der Menschheitsgeschichte wurde hier entzündet und wirft einen Lichtkreis bis in unsere Tage hinein. So mag der Nil  mit Recht als Vater der damaligen Hochkultur gelten. Schuf doch die fruchtbare Oase zwischen arabischer und lybischer Wüste die notwendige Voraussetzung für eine höhere Form des Lebens. Klar und trotzdem unerklärlich stehen die Zeugen dieser Vergangenheit an den Ufern dieses Stroms. Die im Niltal siedelnden Menschen ahnten sehr wohl, wem sie das Wunder verdankten, wenn sie sangen" Du bist es, der Nahrung bringt und reich an Speisen ist, der alles Gute schafft - Sohn des Re, o Nil".

 

Der Mythische

Den alten Ägyptern war lange Zeit das Quellgebiet des Nils ebenso unbekannt wie die Ursache der jährlich stattfindenden Überschwemmungen. Aus dem Unbekannten kommend, verschwand er geheimnisvoll im Unfaßbaren. Dies wurde ihnen zur Allegorie für das Leben schlechthin. Auch das Leben des Menschen kommt aus dem Dunkel der Ewigkeit. Die sprudelnden Katarakte und Klippen des Oberlaufs gelten für die munter dahinspringenden Kinder- und Jugendtage. Der Mittellauf, schwer gesäumt von Fruchtbarkeit, symbolisiert die fruchtbaren Arbeitsjahre. Das träge Delta läßt an die Müdigkeit des Alters denken. Das Verschwinden im Meer ist das Eingehen durch ein weitgeöffnetes Tor in eine andere Ewigkeit. Die Mythologie der Ägypter vollendet jedoch den Bogen, indem sie den Strom unterirdisch zum Anfang zurückkehren läßt. Der oberirdischen Welt entspricht damit das Totenreich.  

 

Der Schöne

Der geschichtsträchtige wie der mythische Nil ist Gegenstand vieler Geschichtsbücher, kann aus der Ferne und rein kognitiv erfaßt werden. Doch jetzt, auf einem Schiff über die Wasser gleitend, bezaubert mich die Schönheit dieses Flusses. Wir befinden uns hier zwischen Luxor und Assuan. In diesem Abschnitt fließt er mit träger Sanftheit. Ruhe und Kraft strömt er aus. Die Gleichförmigkeit des Fließens wird durch wechselnde Stimmungssituationen unterbrochen: dörfliche Ansiedlungen von Lehmhütten schmiegen sich an die Ufer der Flußbiegungen; Wasservögel, versteckt im Schilfdickicht, steigen, durch einen Lärm aufgeschreckt, auf; seichte Flußniederungen, durch die krummschnäbelige Ibisse hochbeinig waten; Fellachen, die aus ihren kleinen Segelbooten Fischernetze auswerfen; Wasserbüffel, die reglos am Ufer stehen; Palmen, die ihre dunklen Kronen in den Himmel strecken.Über dem Strom liegt eine Beschaulichkeit wie ein großes Geheimnis. Weich und sanft fließend ist nicht nur das Wasser, der Strom überträgt diese Eigenschaften gleichsam auf das umliegende Land. Weiches Licht vor allem der späten Nachmittagssonne umschmeichelt zudem alle Formen. Die warmen Farbtöne beginnender Wüste verschwimmen in diesem Licht, wie unter der Linse eines Weichzeichners verlieren die Formen ihre harte Konturen. Dieser verklärende Eindruck kann nicht nur an meiner Romantikversessenheit liegen. Das Niltal besitzt eine ruhende Schönheit, die jeden an Bord unseres Schiffes fesselt.

 

    

Ägypten - ein islamischer Staat

 

Für das allgemeine Unbehagen, das Touristen beim Gedanken an eine Ägyptenreise befällt, gibt es wohl viele Gründe. Doch ausschlaggebend mag das Zusammentreffen mit einer anderen, islamischen Welt sein. Medien verstärkten durch Berichte über fundamentalistische Überfälle auf Touristen dieses Gefühl. Unbestritten trifft man auf ein Land, das sich gegenwärtig auf originäre Werte rückbesinnt, das versucht, den "westlichen" Lebensstil einzudämmen. Trotzdem zwingt ein Prozeß der Modernisierung, die technisch-wirtschaftliche Überlegenheit der Industrieländer Ägypten zu einer Auseinandersetzung mit westlichen Ländern. So erscheint es nützlich, Technologie und Konsumgüter aller Art zu übernehmen, doch die dazugehörenden Wertesysteme werden nicht angenommen. Die Vorteile der übernommenen Errungenschaften kommen zudem nur der Clique der Herrschenden und einer kleinen Elite zugute. Die Masse der Bevölkerung hat daran keinen Anteil, sieht nur die Verwestlichung, was meist als sittlicher Verfall gedeutet wird. So kommt es teilweise zu einem politischen Extremismus, der erschreckt.

Von Staats wegen wird zwar gegen diese Strömung angekämpft, Ägypten kann es sich einfach nicht leisten, Touristen aus aller Welt zu vergraulen. Diese oberste Einstellung drückte sich zu der damaligen Zeit in einem verstärkten Aufgebot an Polizei an allen touristischen Gemeinplätzen aus. Doch darüberhinaus ist kein unmittelbares Ressentiment spürbar, sei es bei einem Bummel über die Basare, bei Besichtigungen, in Restaurants. Die Äypter, denen wir unmittelbar begegnet sind sind freundlich, offen, schwatzend. Daß dahinter ein gutes Stück Geschäftstüchtigkeit steckt, darf man nicht übelnehmen. In einigen Gesprächen mit hochqualifiziertes ,akademisch ausgebildeten Ägyptern  erlebten wir selbstbewußte Weltoffenheit. Auch übten sie ohne Scheu Kritik an ihrem Land. Gegenstände ihrer Angriffslust waren die vom

Staatskapitalismus geprägte Wirtschaftsform, Umweltprobleme, das Verhältnis zu Israel. Bei aller Kritik bleibt jedoch ein islamisches Traditionsbewußtsein spürbar, das zur sonstigen Offenheit nicht recht passen will. Absolut unantastbar sind die Regeln des Islams. Je tiefer man in bestimmte Themen eindringt, umso mehr erscheint die ursprünglich wahrgenommene Weltoffenheit als äußere Fasssade. Die Einstellung gerade zu Amerika scheint mir von fast krankhaftem Mißtrauen geprägt. Ich führe hier als Beispiel eine These an, die mich zunächst verblüfft, aber doch auch etwas nachdenklich gestimmt hat. Im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands wurde folgende Meinung vorgebracht: ein von Amerika bewußt forcierter Prozeß, mit der Absicht, den wirtschaftlichen Riesen Deutschland  zu schwächen. Mir ist sehr wohl bewußt , daß ich hier nur die Meinung eines einzelnen zitiere. Ich kann nicht beurtei­len, ob diese These stellvertretend für viele Ägypter ausgesprochen wurde.

Welche Perspektive ich also immer in den Vordergrund rücken mag - Geschichte erle­ben wollen, Kontakte knüpfen, Gedanken austauschen, sich von Landschaften bezaubern lassen - Agypten war für mich ein anregend buntes, erlebnisreiches Reiseziel.

 

© Andrea Kampf 1993